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Kurze Entwicklungsgeschichte: Liegeräder gibt es schon über 100 Jahre. Ihre erste Blütezeit hatten sie in den 30er Jahren in Frankreich, als die Modelle des Pioniers Mochet einige Geschwindigkeitsrekorde aufstellten. Auf Betreiben der UCI, die schon damals die Normen festlegte, wurde das Liegerad als "Nichtfahrrad" definiert und somit ab sofort von allen offiziellen Wettkämpfen ausgeschlossen. Damit verschwand es fürs erste wieder in der Versenkung.
Die Wiedergeburt des Liegerades fand Anfang der Siebziger in Amerika statt. Professor Wilson entwickelte vor allem unter dem Aspekt der Sicherheit einen Langlieger, den Avatar 2000, der auch die Entwicklung in Europa maßgeblich beeinflußte. Seit dieser Zeit geht es mit dem Liegerad ständig bergauf, in Europa führen vor allem die Niederlande und Deutschland die Entwicklung an.
Zunächst mal das Wichtigste: Das Liegerad gibt es nicht mehr, vielmehr befinden sich heute eine Unzahl der unterschiedlichsten Modelle auf dem Markt, die im Grunde nur noch eines gemeinsam haben: An Stelle des schmalen Sattels befindet sich ein breiter Sitz, sei es nun ein bespanntes Gestell oder eine feste Schale, und die Beine treten nicht nach unten, sondern nach vorne, da das Tretlager in etwa auf Sitzniveau liegt, mit leichten Abweichungen nach oben und unten.
Es gibt also heute eine schon fast unüberschaubare Modellvielfalt, für jeden Geldbeutel und fast jeden Einsatzzweck. Ich will versuchen eine kleine Typenlehre zu erstellen und werde dabei chronologisch vorgehen.
Am Anfang der Neuentwicklung in den 70er Jahren stand wie schon erwähnt D.G.Wilsons Avatar, der Urvater aller Langlieger. Lang deshalb, weil sein Radstand wesentlich länger ist als bei normalen Rädern. Er hat meist einen Spannsitz mit relativ aufrechter Lehne und das Tretlager meist deutlich unter der Sitzhöhe. Bei den deutschen Modellen, wie etwa dem Peer Gynt überwiegt der Untenlenker, d.h. der Lenker liegt unter dem Sitz und steuert vermittels einer Spurstange die Gabel, es gibt jedoch auch Modelle mit Obenlenkung, vor allem in Amerika, wie etwa das legendäre GoldRush.
Der Langlieger ist von der Charakteristik her kein Rennrad, sondern eher ein gemütlicher Tourenlieger, vor allem für Menschen, die keinen flachen Schalensitz und kein zu hohes Tretlager wollen. Sein größter Nachteil ist sein langer Radstand, der ihn sperrig und nur wenig wendig macht.
Mit dem Entstehen einer sportlichen Liegeradszene in Deutschland trat diese Variante auf den Plan. Der Radstand ist, wie der Name schon andeutet, wesentlich kürzer und bewegt sich in den Dimensionen eines Normalrades. Das Tretlager liegt bei den europäischen Modellen auf Sitzniveau und darüber und der Sitz ist überwiegend eine relativ flache , anatomisch geformte Schale mit Polsterung. Der Kurzlieger ist prädestiniert für den Allroundgebrauch: schnell und sportlich, aber auch alltags- und reisetauglich, vor allem mit Federung. Das Musterbeispiel für diesen Typ ist die sehr erfolgreiche Streetmachine, die gerade als Reiserad sehr gut ankommt.
Auch dieser Typus hat seine Ursprünge in Amerika. Das sagenumwobene BikeE läutete eine weitere Ära des Liegerades ein: das Liegerad für die Masse. Der Kompaktlieger erfüllt dafür alle Vorausetzungen: eine gemäßigte Geometrie, d.h. Sitz nicht zu flach und Tretlager nicht zu hoch, der Lenker ist oben und so ist das Fahren auch für Neulinge sehr leicht zu lernen. Dazu kommt, daß der Preis vergleichsweise moderat ist. So ist es also kein Wunder, daß das BikeE eines der erfolgreichsten Liegeräder ist, sein Vetter, das Flux V200 wurde in Deutschland sogar zum ADFC- Fahrrad des Jahres 1999 gewählt.
"Schneller, tiefer, weiter...", so in etwa scheint sich der Trend im Liegeradgeschehen abzuzeichnen. Neuester Liebling in der Gunst der begeisterten Fahrer sind Modelle mit sehr niedriger Sitzhöhe von z.T. unter 20cm und im Verhältnis dazu sehr hohem Tretlager. Eigentlich für den Renngebrauch entwickelt, entdecken immer mehr Fahrer damit den Alltag und kommen dort offensichtlich auch gut zurecht. Während in Deutschland noch kaum käufliche Modelle auf dem Markt sind und die Freaks sich mit Eigenbau behelfen müssen, bieten in Holland gleich mehrere Hersteller eine breite Palette zur Auswahl an, haben aber oft Probleme die Nachfrage stillen zu können.
Liegedreiräder sind wieder ein Fall für sich. Früher fast ausschließlich im Reha- und Behindertenbereich eingesetzt, entdecken heute mehr und mehr Alltagsfahrer das Dreirad. Es bietet auch im Winter aufgrund der Mehrspurigkeit ein sicheres Fahrverhalten, hat eine sehr hohe Transportkapazität und läßt sich leichter wetterfest verkleiden als ein Zweirad, das auf starken Seitenwind problematisch reagieren kann. Vollverkleidete Dreiräder wie die Leitra oder das Cab-Bike nennt man Velomobile oder Kabinenräder. Auch hier steht die Entwicklung noch ganz am Anfang, alleine schon der hohe Preis aufgrund der geringen Stückzahlen steht einer raschen Zunahme im Weg.
Eine Sonderform der Liegeräder, die es nötig macht, das Radfahren völlig neu zu lernen. Gelenkt wird nicht mit dem Lenker sondern aus den Beinen und der Hüfte heraus, das gesamte Vorderteil schwenkt dabei hin und her. Hier scheiden sich die Geister. Das bekannteste Modell ist das Flevo aus Holland, seine Fans schwören darauf und falten beim Fahren andächtig die Hände auf dem Bauch, während sie sein Hohelied singen.
Bei dem Wunsch nach einem Liegerad spielen oft drei Faktoren eine Rolle:
Im Gegensatz zu einer verbreiteten Meinung ist das Liegerad nicht zwangsläufig schneller als ein normales Rad, es hat auch nicht unbedingt einen niedrigeren Luftwiderstand, das variiert sehr stark von Modell zu Modell. Auch auf dem Liegerad bestimmt in erster Linie die Leistung des Fahrers die Geschwindigkeit, wie bei jedem muskelbetriebenen Fahrzeug. Tatsache ist aber, daß derzeit alle Geschwindigkeitsrekorde für Muskelkraftfahrzeuge von vollverkleideten Liegerädern gehalten werden, der Stundenweltrekord etwa liegt schon bei über 80km/h.
Dieser Aspekt war wie gesagt maßgeblich für die Neuentwicklung des Liegerades. Sicherheit ist natürlich in diesem Zusammenhang eingeschränkt zu sehen. Der Komplex der Sicherheit beim Radfahren ist viel zu umfassend, als daß er allein durch konstruktive Veränderungen am Fahrzeug bestimmt wird, dazu spielen zu viele andere Faktoren mit hinein. Das Liegerad ist insofern sicherer, als die Fallhöhe niedriger ist als beim Normalrad und ein Sturz auf den Kopf praktisch ausgeschlossen ist. Dazu kommt, daß die Verzögerungswerte beim Bremsen aufgrund der Gewichtsverteilung, des tiefen Schwerpunkts und des längeren Radstands um einiges höher sein können als beim normalen Rad. Während dort Bremsfehler zum Abgang über den Lenker führen können, ist diese Gefahr beim Liegerad bei weitem nicht so hoch. Selbstverständlich sind auch auf dem Liegerad Stürze nicht immer angenehm, dennoch tendieren sie nach der Erfahrung vieler Liegeradler dazu, nicht so folgenschwer zu verlaufen wie auf dem Upright. Dazu trägt zumindest bei mir auch bei, daß ich auf dem Liegerad aufgrund der bequemen Position wesentlich entspannter und weniger aggressiv fahre als früher.
Hier liegt die eigentliche Domäne des Liegerades. Sobald man das passende Modell gefunden hat, ist es vorbei mit all den kleineren und größeren Unbequemlichkeiten beim Radfahren. Stundenlanges Fahren ohne jede Beeinträchtigung wird dann auch für Untrainierte und Menschen mit allerlei Beschwerden möglich, die es auf dem Normalrad keine Stunde aushalten. Aber auch hier gilt: Liegerad ist nicht gleich Liegerad. Jeder muß durch ausgiebigen Vergleich und Probefahrten erst herausfinden, welches Modell optimal für ihn geeignet und auf seine speziellen Bedürfnisse zugeschnitten ist.
Hier ist in erster Linie der HPV e.V. zu nennen, der Verein, der sich in Deutschland um die Belange und die Weiterentwicklung der Liegeräder und anderer Muskelfahrzeuge kümmert. Er gibt eine zweimonatliche Mitgliedszeitschrift, das InfoBull, heraus, zusammen mit dem Schweizer Verein Future Bike. Im Internet ist er zu finden unter:
Dort gibt es eine Menge Informationen und Links zum Thema
Eine weitere Möglichkeit an Informationen aus erster Hand zu kommen, besteht darin die hpv-Mailingliste zu abbonnieren, die es nun schon über zwei Jahre gibt und die sich wachsender Beliebtheit erfreut, mit entsprechendem Mailumsatz, versteht sich. Zumindest ein Probeabo ist auf jeden Fall zu empfehlen. Sie ist zu erreichen unter: http://www.kbx.de/list?enter=de-hpv
Eine sehr interessante Quelle für ist auch die Seite von Oliver Zechlin
Dort finden sich z.B die Herstellerliste fast aller gängigen Produzenten: http://www.liegerad.com/hersteller/
Sowie die regelmäßig auf den neuesten Stand gebrachte Gebrauchtliste: http://www.liegerad.com/gebraucht/
Und jetzt viel Spaß bei der Entdeckung eines neuen Fahrerlebnisses!
http://0x1a.de/rec/fahrrad/faq/technik/radtypen/lieger2/index.html
KlausFischer
Email: mailto:Kurt-Fischer@t-online.de
1.0 2000-11-05