1.1.8 Abnutzung und Springen der Kette

Quelle: 8.6 Wear and Gear Slippage in der englischsprachigen FAQ

From: Jobst Brandt <jbrandt@hpl.hp.com>

Kettenpflege ist ein viel diskutiertes Thema, das beinahe religiöse Ritualien annimmt. Ich glaube das basiert zum Teil am "Dreckindex" des Fahrrads, der hier seinen Höhepunkt findet. Eine schwarze, mit Öl triefende Kette verlangt sicherlich besondere Behandlung. Eigentlich ist eine Kette dieser Beschreibung wahrscheinlich schon Schrott, denn es ist die Schmirgelpaste aus Öl und Dreck die die Kette zerstört.

Obwohl es überflüssig sein mag, sollte es nochmal deutlich gesagt werden, dass Ketten nicht durch Belastung gestreckt werden, sondern dass sie sich durch Abrieb der Innenteile längen. Diese Längung erfolgt durch Abrieb der Bolzen und ihrer Lagerung, hauptsächlich durch Schmirgel der durch nachträgliches Ölen, in die Glieder hineingespühlt wird. Eine Kette die regelmässig am Rad geölt wird ist schneller kaputt als eine Kette die nie gepflegt wird und zwitschernd gefahren wird. Die schwarze Sosse, die glänzend an manchen "gepflegten" Ketten zu sehen ist, ist der Tod der Kette.

Grundregel Nr. 1: Kette nie am Fahrrad ölen.

Das heisst, man soll die Kette erst reinigen ehe sie geölt wird. Weil Reinigung am Rad effektiv unmöglich ist, muss die Kette abmontiert werden, um in einem Behälter mit Waschbenzin aussen und besonders innen gereinigt zu werden. Nur in einem Bad, in dem die Glieder durchschwemmt werden, kann der Feinschmirgel weggetragen werden. Ein guter Waschbehälter (wie üblich in PKW Werkstätten) hat einen ventilierten Doppelboden durch den der Dreck in ruhiges "Wasser" abfallen kann. Kraftstoffe sollten dafuer nicht verwendet werden, denn sie enthalten giftige Zutaten die durch die Haut in die Hände eindringen koennen, ganz abgesehen von der Explosionsgefahr.

Es gibt Umstände unter denen eine gründliche Reinigung nicht möglich ist, wie zum Beispiel auf einer Reise auf der der Regen die Kette ausgespült hat. In diesem Fall muss gegen Regel Nr. 1 verstossen werden, aber es ist nicht ganz so schlimm. Nach längerer Regenfahrt, ist die Kette meistens annähernd so sauber wie im Waschtank, vorausgesetzt, dass der trockene lockere Sand zuerst von Aussen abgebürstet wird. Dabei sollte die Kette erst dann geschmiert werden, wenn sie quietschend trocken ist, denn Wasser ist auch eine Schmierung.

Nach dem Abwaschen im Waschbehälter, muss die Kette innen trocken sein ehe sie geölt wird. Da Pressluft nicht immer vorhanden ist, kann die Kette zusammen gesteckt werden, um von Hand herumgeschleudert zu werden (in einer spritzunempfindlichen Umgebung). Beschleunigtes Trocknen auf dem Kochherd sollte wegen Feuergefahr vermieden werden. Es wird gelegentlich empfohlen, mit angewärmten 90W Getriebeöl oder Einmachwachs zu schmieren. Getriebeöl wirkt hauptsächlich als Fliegenpapier und sammelt dabei Mengen Dreck der sich an den Umwerferrollen und zwischen den Zahnkraenzen ansetzt wie Zement. Wachs fliesst nicht und ist nach kurzer Zeit aus den Kontaktstellen verdrängt um nicht wieder zu kommen.

Normales PKW Motorenöl ist wirksam, aber Kettensägen- und Motorradkettenöle, die verdunstende Fliessmittel enthalten, sind noch besser geeignet um Fahrradketten zu schmieren. Die Fette, die von Kettenherstellern in ihren Ketten mitgeliefert werden sind allgemein nicht auf dem Fahrradmarkt zu finden.

Die Lagerkragenkette

Sedis war die erste Firma die diese Kette angeboten hat. Sie ist zugfester und zugleich leichter als die bisher üblichen Ketten mit Innengliedern die eingepresste durchgehende Hülsen tragen, auf denen die Walzen aussen liefen während die Bolzen, innen eine gute und geschützte Lagerung fanden. Die Lagerkragen, die aus den Seitenlaschen der Kette gepunzt werden, bilden nur eine unvollständige Lagerhülse, die in der Mitte einen breiten Spalt aufweisen. Dabei kann Spritzwasser die Schmierung schnell vertreiben. Dazu kommt noch, dass die Flächenpressung höher ist da die Last von Kanten und verringerten Lagerflaechen getragen wird. Weil die Seitenlaschen nicht für Lagerhülsen ausgebohrt werden muessen, ist diese Kette den hoeheren Anforderungen des heutigen MTB Schaltens bei Vollast besser gewachsen als die alte Form die fuer den sonstigen Bedarf haltbarer war.

Kettenverschleiss

Die Ausdauer der Kette ist zum grössten Teil von Sauberkeit und Schmierung abhänging. Im Grossen und Ganzen hat die Zugbelastung wenig Einfluss im Vergleich zur Verschmutzung. Das ist leicht ersichtlich an der Lebensdauer von Ventilsteuerungsketten und vorderen Motorradketten, die sauber mit Öl jahrelang laufen, während die hintere Kette an Motorrädern oft erneuert werden muss obwohl beide gut geschmiert sind.

Die Längung der Kette kann man am einfachsten in Ländern, die noch englische Messlatten oder Bänder haben feststellen. Das Mass wird am unteren Lauf der Kette so angelegt, dass eine Hauptteilung mit einem Kettenbolzen fluchtet. Zwölf Zoll weiter sollte ein Bolzen wieder mit einem Hauptstrich fluchten. Wenn die Abweichung mehr als 1/16 Zoll betrifft, ist es Zeit zu erneuern, bei 1/8 ist 1% Längung überschritten, wobei die Abnutzung der Zahnkränze sich stärker beschleunigt. Dabei sollte bemerkt werden, dass diese Längung nur auf die Aussenglieder konzentriert ist, denn die Teilung der Walzen der Innenglieder bleibt unverändert.

Springende Kette

Eine gelängte Kette verursacht Abrieb an den Zahnkränzen beim Ab- und Einrollen, sodass die Zaehne an den Eingriffflanken hohl abgenutzt werden. Weil der Grundkreis durch Abrieb nicht verkleinert wird und die Zähnezahl gleich bleibt, bleibt auch die Teilung gleich. Durch den Abrieb werden aus den Zaehnen Haken, die nur eine Kette mit gelängter Teilung einlaufen lassen. Die Spitze des Hakens sperrt den Eingang fuer die nächste Walze, die mehr als 12,7mm Abstand haben muss, um in die Mulde einzufahren. Deshalb springt bei Belastung eine neue Kette bei einem gefederten Kettenspanner über die Ritzelzähne. Daher machen auch Eingangräder unangenehmen Krach weil die Kette zum Eingreifen forciert wird.

Die Zahnverformung führt auch zu "chainsuck", das die Kette nicht vom Antriebskranz loslässt. Beim MTB mit einem langhubigen Kettenspanner, wickelt sich dann die Kette um den Zahnkranz und zerreisst die Schaltung oder klemmt die Kette so fest zwischen Rahmen und Zahnkränze, dass es beim Wiederfreimachen dreckige Hände gibt.

Dass beim Kettenantrieb "so viele Zähne mitwirken" täuscht. Bei Ketten, wie bei Zahnrädern, sind höchstens zwei Zähne voll beteiligt, denn die Elastizität der Kette gewährleistet, dass die hinteren Zaehne unbelastet bleiben. Das ist leicht vorgeführt indem das freie Ende von einer belasteten Kette vom Zahnkranz abgewickelt wird. Das lässt sich ohne Schwierigkeit machen bis es zum kurzen belasteten Ende kommt.

Jobst Brandt

http://0x1a.de/rec/fahrrad/faq/technik/kettenpflege/wear/index.html
Jobst Brandt Email: jobst.brandt@stanfordalumni.org
1.0 1997-04-04


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